hoch gestapelt
Ein Bekannter erzählte mir vor ein paar Tagen eine Geschichte über einen Mann, der vor vielen Jahrzehnten im Dorf lebte. Er führte ein sehr bescheidenes Leben, hatte immer zerschlissene Kleidung an, fuhr täglich nach Rom und setzte sich dort auf den Petersplatz mit einem Hut vor sich. Als er starb, hinterließ er seinen Erben ein Vermögen an Geld. Dann merkten die Menschen erst, dass er ein Betrüger war, fügte mein Bekannter noch hinzu. Meine spontanen Gedanken dazu waren: Er hat vermutlich niemals gelogen, die Menschen glaubten nur, was sie glauben wollten. Bei mir kamen eher Gefühle von Unverständnis und Mitgefühl, denn der Mann hat wohl sein Leben lang im Mangel gelebt und aus irgendeinem Grund entschieden, seine Zeit nicht dafür zu verwenden, etwas Eigenes zu schaffen. Während ich das schreibe, fällt mir auf, dass der letzte Satz auf so viele Menschen zutrifft. So viele Menschen sitzen an irgendeinem Arbeitsplatz an dem sie Dienst nach Vorschrift machen ohne etwas Eigenes einzubringen. Manch einer wird nun sagen, dass beide Fälle sich so gar nicht vergleichen lassen, denn der Mensch am Arbeitsplatz trägt in irgendeiner Weise zu einer Wertschöpfung bei und verdient das Geld demnach, wohingegen der andere nichts macht und dafür Geld bekommt. In meiner Wahrnehmung stellte der Mann am Petersplatz seine Zeit zur Verfügung, erzeugte offenbar Mitgefühl bei Menschen und trug dazu bei, dass diese - zumindest kurzfristig - ein besseres Gewissen hatten und sich als Gutmenschen fühlten. Das ist mehr als nichts. Ich sage immer, dass deine Arbeit etwas wert ist, wenn du damit Menschen auf der Gefühlsebene erreichen kannst und letztendlich etwas machst, wozu ein Roboter nicht im Stande wäre. Als Bettler würde sich ein Roboter definitiv nicht eignen.

In derselben Unterhaltung erzählte mir mein Bekannter, dass eine Frau aus dem Dorf ihn fragte, ob er mich kenne und ob er schon wüsste, dass ich in Deutschland eine berühmte Autorin wäre. Sie hatte wohl mein Buchcover auf facebook gesehen. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, denn ich habe derzeit gerade mal 10 Bücher verkauft. Noch absurder ist, dass es sich durchaus gut anfühlte, als mein Bekannter mir davon erzählte, so als wäre es wahr. Vermutlich werden mich die Dorfbewohner noch vor meinem Tod als Hochstaplerin entlarven. Auf meinen Einwand hin, dass ich niemals behauptet hätte, eine erfolgreiche Schriftstellerin zu sein, wird dann vielleicht so etwas kommen wie: Wer das Holz vor der Hütt´n so hoch stapelt, möchte den Eindruck erwecken, dass er reich ist.

So wie es ausschaut, habe ich schon eine Woche nach Veröffentlichung meines Buches erreicht, eine berühmte Autorin zu sein, nur in meinem kleinen italienischen Dorf und anders als ich gedacht habe, aber immerhin. Ich habe beim Universum eigentlich einen Bestseller bestellt, wie du in meinem Buch lesen kannst. Der ist vermutlich momentan vergriffen und wird nachgeliefert sobald verfügbar.
Wer ehrlich zu sich selbst ist, hat gar kein Interesse mehr daran, anderen etwas vorzuspielen.
Andrea Erhard